Tuesday 9 September 2014

Nr.6012-Wie tot sind „tote“ Bakterien?








Meine Recherchen zur Reduzierung von Biofilmen mit Hilfe von TwinOxide-0,3%-Solutions führten mich zum BMFT-Forschungsprojekt „ Biofilme in der Trinkwasser-Installation“. Hier wurde gezeigt, dass durch eine kontinuierliche Einwirkung von 0,2 ppm Chlordioxid im Trinkwasser innerhalb von 84 Tagen eine Reduzierung des  Biolfilms bis zur Nachweisgrenze möglich ist. Das wurde auch durch REM-Aufnahmen bestätigt.Es wird auch berichtet, dass Legionellen durch 2 bis 50 ppm Chlordioxid bei einer Einwirkzeit bis zu 3x 12 Stunden reduzierbar sind.
Doch sind die Keime wirklich tot?

Damit befassen sich die folgenden Berichte:
( W. Storch)


http://www.zahnaerzteblatt.de/page.php?modul=HTMLPages&pid=2793

Wie tot sind „tote“ Bakterien?

Eine Frage der hygienischen Sicherheit

Wie tot sind „tote“ Bakterien?

Die Frage, wann Bakterien wirklich tot sind, hat zwei gleichermaßen schwierige Aspekte: Erstens: Wie ist der Tod von Bakterien zu definieren? Und zweitens: Wie weist man ihn nach?
Zur ersten Frage gibt es eine Anzahl von Definitionen. Auf der Konferenz „How dead is dead?“, die im Mai 2009 in Bochum stattfand, wurde genannt: Der Verlust der Integrität der Zellmembran (Rita Colwell) bzw. die irreversible Zerstörung der Zellstruktur, der DNA(Ulrich Szewzyk) und des Transkriptionsapparats (Ursula Obst). Thermodynamisch gesehen, wäre das völlige energetische Gleichgewicht der Zelle mit der Umgebung eine sehr gute Definition für den Tod, denn alles Leben ist nur möglich, solange ein energetisches Ungleichgewicht besteht, das dynamischer Natur ist.
Aber all diese Definitionen nützen nur dann etwas, wenn es Methoden gibt, um sie zu überprüfen. Gold-Standard zur Feststellung lebender Bakterien im Trinkwasser sind heute immer noch Kultivierungsmethoden, die auf der Fähigkeit basieren, Kolonien auf Agar-Nährmedien zu bilden oder sich in flüssigen Nährmedien zu vermehren (z. B. Kell et al., 1998). Im Umkehrschluss wurde davon ausgegangen, dass Bakterien, die nicht mehr auf oder in Nährmedien wachsen, tot oder zumindest inaktiviert sind. Kultivierungsmethoden haben zentrale Bedeutung in der Praxis – mit ihnen wird die mikrobiologisch-hygienische Qualität von Trinkwasser, Lebensmitteln und Getränken ebenso wie die Wirksamkeit von Desinfektionen nachgewiesen, um nur einige Bereiche zu nennen.
Anabiosis. Lange Zeit in der Geschichte der Mikrobiologie standen nur kultivierungsabhängige Verfahren zur Verfügung, um Mikroorganismen zu entdecken, zu quantifizieren, zu identifizieren und um zu überprüfen, ob sie lebendig sind. Man wusste aber schon sehr lange, dass auch Mikroorganismen, die sich nicht kultivieren ließen, nicht notwendigerweise tot sind. Dieses Phänomen wurde als „Anabiosis“, „latentes Leben“ oder „lebendige Leblosigkeit (viable lifelessness)“ bezeichnet (historischer Abriss bei Keilin, 1959). Welcher Anteil der Populationen sich in diesem Zustand befand, ließ sich aber nicht feststellen.
Erst mit der Einführung von Nukleinsäure-spezifischen (DNA) Fluoreszenzfarbstoffen wurde esmöglich, jede einzelne Bakterienzelle in einer Probe anzufärben. Damit konnte die Gesamtzellzahl ermittelt werden. Diese Zahl umfasste sowohl vermehrungsfähige wie auch inaktive oder tote Zellen. Schnell stellte sich heraus, dass die Gesamtzellzahl in vielen Umweltproben um Größenordnungen höher war als die Zahl der kultivierbaren Bakterien; Staley und Konopka prägten 1985 dafür den Begriff der „Great Plate Count Anomaly“. Im Trinkwasser (und im Biofilm) variieren sie zwischen weniger als 0,01 Prozent und einigen wenigen Prozent der Gesamtzellzahl. Was ist nun mit dem Anteil der Population, der sich zwar durch Nukleinsäure-spezifische Anfärbung nachweisen lässt, aber nicht wächst? Gerade für Umweltbakterien gilt, dass der überwiegende Anteil (noch) nicht kultiviert werden kann.
In diesem Beitrag geht es aber um solche Bakterien, die sich normalerweise mit Kulturmethoden nachweisen lassen. Dazu gehören Organismen von hygienischer Relevanz für das Trinkwasser, deren Überwachung auf ihrer Kultivierbarkeit beruht.
„Viable-but-nonculturable“ (VBNC). Grundsätzlich ist festzustellen, dass Mikroorganismen nicht nur einen Baustoffwechsel besitzen, der für ihre Vermehrung verantwortlich ist, sondern auch einen Erhaltungsstoffwechsel. Er kann auch dann stattfinden, wenn der Baustoffwechsel gänzlich eingestellt ist. Solch ein Verhalten ist bekannt als Stress-Antwort; dann wachsen die Zellen nicht, sondern befinden sich im Erhaltungsstoffwechsel der Stress-Antwort, z. B. als Folge der Einwirkung subletaler Konzentrationen von Desinfektionsmitteln, oder aufgrund von Strahlungseinwirkung. Sie können den Baustoffwechsel aber auch aufgrund von ungünstiger Temperatur, Nährstoffmangel, Wassermangel oder anderen Umweltfaktoren einstellen.
Das Phänomen der vorübergehenden Nichtkultivierbarkeit wurde von Roszak et al. bereits 1987 am Beispiel von Salmonella enteritidis beschrieben. Der Zustand wurde als „viable-but-nonculturable (VBNC)“ bezeichnet und im Detail untersucht. Oliver definierte den VBNC-Zustand so: „Eine Bakterienzelle im VBNC-Zustand kann definiert werden als eine Zelle, die nicht auf den routinemäßig eingesetzten Medien wächst, auf denen sie dies normalerweise tut und Kolonien bildet – die aber lebensfähig ist… das bedeutet nicht, dass sie unkultivierbar ist, sondern nur, dass sie sich in einem solchen Zustand befindet. Sie kann diesen Zustand verlassen und wieder kultivierbar werden, wenn die Bedingungen dies erlauben.“ Er bezeichnet diesen Zustand auch als „dormant“ und fährt fort, dass Bakterien in ihn als Antwort auf Stress übergehen, der für sie tödlich werden kann, wenn sie weiter wachsen würden. „Daher sollte der VBNC-Zustand als Überlebensmechanismus betrachtet werden“. Dieser Zustand ist schon lang bekannt und kann vorübergehend sein. Das bedeutet, dass VBNC-Organismen zeitweilig vom „Radar“ der kultivierungsbasierten Überwachungsmethoden verschwinden können, aber wieder in den kultivierbaren und infektiösen Zustand zurückkehren, wenn die Bedingungen dafür geeignet sind. Damit kommt dem Phänomen eine große hygienische Bedeutung zu. Es gibt inzwischen eine ganze Reihe von pathogenen und hygienisch relevanten Bakterien, die in den VBNC-Zustand übergehen können. Darunter fallen alle Trinkwasser-relevanten Bakterien mit krankheitserregenden Eigenschaften wie z. B. Legionella pneumophila und Pseudomonas aeruginosa. Biofilme an Oberflächen von Trinkwassersystemen können Reservoire von VBNC-Bakterien darstellen.
Es ist anzunehmen, dass manche Probleme bei Sanierungen von Wassersystemen mit hartnäckigen Fällen von „Wiederverkeimung“ darauf zurückzuführen sind, dass die Sanierungsmaßnahme die bakteriellen Kontaminanten nicht abgetötet, sondern nur in den VBNC-Zustand versetzt haben und sie in Wirklichkeit gar nicht beseitigt wurden. Wenn sie sich wieder erholt haben, können sie auch wieder kulturell nachgewiesen werden.
Kultur-unabhängiger Nachweis. Ebenso, wie es keinen allgemeinen Parameter für „Wetter“ gibt, existiert keiner für „Vitalität“. Es können immer nur einzelne Aspekte der Vitalität bestimmt werden. Und dafür existiert eine Reihe von molekularbiologischen Methoden. Als essenziell und damit als Parameter für Leben wird z. B. die Integrität der Zellmembran angesehen. Sie kann mit dem sogenannten „live/dead-kit“ oder durch die Anwendung von Propidium-Monazid (PMA) mit anschließender quantitativer Polymerasechain- reaction (qPCR) überprüft werden. Ein weiterer Vitalitäts-Aspekt ist der Nachweis der aktiven Proteinsynthese – tote Zellen bilden keine Proteine. Dies wird mit dem „direct viable count“ in Kombination mit der Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung überprüft. Einen exzellenten Überblick der Methoden zur Prüfung auf mikrobielle Lebenszeichen geben die Arbeiten von Rochelle et al. und Hammes et al. Im Prinzip muss man aber sagen: auch wenn nur eines dieser Merkmale positiv ist, dann kann die Zelle nicht tot sein. Die Merkmale können ganz verschieden sein und nicht notwendig alle gleichzeitig vorhanden. Zum Beispiel kann die Membranintegrität erhalten bleiben, aber es findet keine Zellverlängerung mehr statt. Eine ganz andere, aber mindestens so wichtige Frage ist, ob und unter welchen Bedingungen sich die VBNC-Organismen erholen und wieder kultivierbar können werden.
Pseudomonas aeruginosa. Im Rahmen eines BMBF-Forschungsprojektes über die Rolle von Biofilmen in der Trinkwasser-Installation als Habitat für hygienisch relevante Mikroorganismen ließ sich beobachten, dass der eingesetzte Teststamm des fakultativ pathogenen Bakteriums Pseudomonas aeruginosa nach Exposition im Leitungswasser des Labors nicht mehr kulturell nachzuweisen war. Es stellte sich heraus, dass der Kupfergehalt des Wassers dafür verantwortlich war, und es konnte eine klare Zeit- und Konzentrations- Abhängigkeit dieser Inaktivierung gezeigt werden. Die Gesamtzellzahl wurde jedoch nicht durch die Kupfer-Exposition beeinflusst (Abbildung 1).
Die Frage war nun, ob die nicht mehr kultivierbaren Bakterien wirklich tot waren oder sich nur im VBNCZustand befanden. Um den Kupfereffekt zu überprüfen, wurde ein Chelator eingesetzt (Diethyldithiocarbamat, DDTC), der Kupfer bindet und den Kupferstress der Bakterien aufheben sollte (Abbildung 2). Gezeigt sind die Werte für die Gesamtzellzahl sowie die koloniebildenden Einheiten für den Nachweis von P. aeruginosa. Die oberen Linien zeigen, dass der Chelator über 14 Tage hinweg keinerlei Einfluss auf das Wachstum hatte. Bei Exposition von Kupferionen blieb die Gesamtzellzahl konstant, ebenso konstant war der negative Befund für den kulturellen Nachweis. Wenn aber kupfergestresste Zellen mit dem Chelator behandelt wurden, gewannen sie ihre Kultivierbarkeit zurück, wie die aufsteigende Kurve zeigt.
Daraus folgte die nächste Frage: ist „wiederbelebter“ P. aeruginosa auch wieder infektiös? Um dies zu prüfen, wurden Kulturen von Säugerzellen (chinesische Hamster-Ovarzellen) verwendet, die durch Exposition mit P. aeruginosa absterben. In Abbildung 3 zeigt sich, dass dies tatsächlich der Fall ist – sie sind gleich zytotoxisch wie der Ausgangsstamm. Unter Kupfer-Stress sind sie hingegen nicht infektiös.
Ganz klar ließ sich zeigen, dass die Aufhebung des Kupferstress durch den Chelator die Organismen nicht nur in die Lage versetzte, wieder den Baustoffwechsel aufzunehmen und zu wachsen, sondern dass sie auch ihre Zytotoxizität und damit ihre Virulenz zurückgewannen. Dies ist natürlich von hoher hygienischer Relevanz, denn in Trinkwasser-Systemen ist nicht vorauszusagen, wann Organismen im VBNC-Zustand daraus wieder zurückkehren. Dieses Beispiel zeigt, dass Kupferionen in Konzentrationen, wie sie im Trinkwasser vorkommen, den VBNC-Zustand bei hygienisch relevanten Mikroorganismen auslösen können. Ein anderes Beispiel: Bei L. pneumophila wurde der Übergang in den VBNC-Zustand auf Grund von Stressbedingungen durch thermische Desinfektion (30 min, 70 °C) oder durch Chlorung im Rahmen von Sanierungsmaßnahmen induziert.
Fazit. Mit Hilfe von Standardkultivierungsverfahren nach der Trinkwasserverordnung ist man in der Lage, eine Vielzahl von hygienisch relevanten Bakterien (z. B. E. coli, P. aeruginosa, L. pneumophila) kostengünstig und einfach nachzuweisen. Diese standardmäßigen Verfahren haben sich in der Vergangenheit in der Trinkwasseranalytik als sehr erfolgreich erwiesen, aber sie haben auch ihre Schwächen. Sie können nämlich die VBNC-Organismen nicht erfassen und zeigen nur die „Spitze des Eisbergs“. So kommt es, dass in der Praxis schwankende Befunde auftreten können, die darauf beruhen, dass Zielorganismen sich mal in einem kultivierbaren und dann wiederum in einem nicht kultivierbaren Zustand befinden. Dies dürfte ein Grund für hartnäckig wiederkehrende Kontaminationen bei solchen Sanierungsfällen sein, die über längere Zeit nicht abgeschlossen werden können. Hier sind die konventionellen kulturbasierten Verfahren überfordert.
Für die Erfassung und Beurteilung mikrobieller Kontaminationen in der Trinkwasser-Installation kann daher die kombinierte Anwendung konventioneller Kulturverfahren und kultivierungsunabhängiger molekularbiologischer Methoden zielführend und für die Praxis hilfreich sein.
Empfehlungen. Folgende Empfehlungen für die mikrobiologisch-hygienische Beurteilung von Trinkwasser der Trinkwasser-Installation leiten sich aus diesen Gegebenheiten ab:
1.Im Rahmen der Aufklärung von Kontaminationsbzw. Infektionsquellen oder der Erfolgskontrolle nach Sanierungsmaßnahmen sollten ergänzend zu den konventionellen kulturellen Verfahren auch kultivierungsunabhängige Verfahren (FISH, PCRbasierte Methoden) zur Erfassung fakultativ pathogener Bakterien hinzugezogen werden.
2.Für die Lokalisierung von Kontaminationsquellen sollte die Pulsfeld-Gel-Elektrophorese zur Genotypisierung („genetischer Fingerabdruck“) von Bakterienisolaten eingesetzt werden.
Ergänzende Feldstudien aus der Wasserpraxis wären hier besonders notwendig. Forschungsbedarf besteht auch für die Identifizierung trinkwasserrelevanter Faktoren, die den VBNC-Zustand induzieren und unter welchen Bedingungen die Organismen wieder kultivierbar werden. Eines ist aber klar: Die Frage, wann Bakterien wirklich tot sind, ist alles andere als trivial.
Prof. Dr. Hans-Curt Flemming1,2, Mail: hc.flemming@uni-due.de Dr. Gabriela Schaule2, Dr. Susanne Grobe2, Dr. Jost Wingender1, 1Biofilm Centre der Universität Duisburg-Essen 2IWW - Rheinisch-Westfälisches Institut für Wasserforschung

Das Literaturverzeichnis finden Sie im Internet unter www.zahnaerzteblatt.de oder es kann beim Informationszentrum Zahngesundheit Baden-Württemberg unter Tel: 0711/222966-14, Fax: 0711/222966-21 oder E-Mail: info@zahnaerzteblatt.de bestellt werden.










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